Schwerpunkt Allgemein, Christliches Profil, Medizin im EVV, Menschlichkeit verbindet

Bundestag zu Suizidprävention und Sterbehilfe

Der Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept und ein Gesetz zur Suizidprävention voranzubringen. Das ist eine gute Nachricht, denn im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland hier im wörtlichen Sinne ein Entwicklungsland. Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention und die hinter dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm stehende Allianz haben durch ihre Beratungs-, Aufklärungs- und Forschungsarbeit Grundlagen erarbeitet, die staatlich abgesichert und gefördert werden müssen.

Keine Einigung

Keine Einigung hat der Bundestag am 06.07.2023 zu einer gesetzlichen Regelung des Assistierten Suizids erzielt. Die Abgeordneten stehen in einer hohen Verantwortung für die zukünftige Gestalt unserer Gesellschaft andererseits und für die Wahrung der individuellen Autonomie andererseits.

 

Eine gesetzliche Regelung ist unbedingt erforderlich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung im Februar 2020 für nichtig erklärt und gleichzeitig auf die Möglichkeiten und Erfordernisse gesetzlicher Regulierung hingewiesen hat.

Die gesetzliche Regelung des assistierten Suizids ist eine Frage …

… der Anerkennung von Tatsachen

Suizidassistenz erhöht die Suizidzahlen und verhindert keinen herkömmlichen Suizid. Die Zahlen aus Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden, in denen Suizidassistenz oder auch aktive Sterbehilfe seit Jahren erlaubt sind, zeigen, dass diese Formen der Sterbehilfe zu einer hohen Zahl zusätzlicher Suizide führen. Die Vorstellung, Suizidassistenz trage dazu bei, einsame, auf Grund der Verletzungen, der Einsamkeit oder der Einbeziehung Unbeteiligter (z. B. Lokführer) als brutal empfundene Suizide zu vermeiden, entspricht nicht der Realität.

 

Der Wunsch, tot zu sein, ist volatil, also nicht stabil. Durchgängige Erfahrungen von Ärzten, Psychologinnen oder Seelsorgenden belegen, dass sich der Todeswunsch fast ausnahmslos innerhalb kürzerer oder längerer Zeit verändert. Wer laut übers Aus-dem-Leben-Scheiden nachdenkt, will eine Reaktion. Wird die Idee zu sterben bestätigt – durch eine einer Institution, die Suizidassistenz anbietet, oder ein Arztversprechen „zu helfen“ – , entsteht ein „Gefälle zum Tod“, so ein Schweizer Wissenschaftler. Hingegen zeigt sich meist ein Lebenswille durch die Nachfrage, warum jemand sich den Tod wünscht. Und es offenbart sich oft der feine, entscheidende Unterschied zwischen „Ich will sterben“ und „Ich will so nicht mehr leben“.

 

… der Gesellschaft, die wir sein wollen.

Suizid ist eine Frage der Autonomie und eine Frage der Gemeinschaft. Für eine humane Gesellschaft ist es nicht gleichwertig, ob es einen Menschen gibt oder ob es ihn nicht gibt, ob er lebt oder tot ist. Sie muss seine Existenz seiner Nicht-Existenz vorziehen – auch wenn sie nicht jedes Leben retten kann. In Deutschland gibt es viel Luft nach oben, was für das Leben getan werden kann – in der Gesundheitsversorgung und -beratung, im sozialen Beratungssystem, in der Gemeinschaftsförderung und nicht zuletzt in der Suizidprävention. Dafür brauchen wir Gesetze, Strukturen, Finanzen, Informationspolitik. Dazu tragen auch wir mit unseren Gesundheitseinrichtungen.

Für die Familiengemeinschaft macht es einen Unterschied, ob ihr ein Mitglied von einer Krankheit genommen wird oder ob dieses sich das Leben nimmt.

Und: Bereits das Wort Suizidassistenz zeigt, dass hier der autonome Bereich überschritten wird. Nicht allein der Sterbewillige trifft eine Entscheidung für den Tod, sondern immer auch die Person, die in die Assistenz einwilligt.

 

… des Wissens

Wer über Sterbehilfe entscheidet, muss die langfristigen Konsequenzen unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen kennen, die an anderen Ländern ablesbar sind. Er oder sie muss sich mit der Realität des assistierten Suizids auseinandersetzen, dazu gehören die psychischen Mechanismen, die unterschiedlichen Verläufe sowie die Auswirkungen auf das Umfeld – Ein Suizid betrifft durchschnittlich bis zu 135 andere Personen direkt oder indirekt, so die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention.

 

Wer über Sterbehilfe entscheidet, braucht ein klares Bild über die Möglichkeiten, existenzielles Leid zu lindern – Fragt man Sterbewillige, was ihr Leiden unerträglich macht, so meine Erfahrung, ist es oft erschreckend einfach zu helfen. Oft fehlt es Betroffenen am Wissen, wonach sie fragen könnten – Therapiebegrenzung, Schmerztherapie, Palliativversorgung, Sedierung oder schlicht praktisch-organisatorische Hilfe oder Gespräche – , und Betreuenden an entsprechender Schulung oder Anweisung, was Leidende in Anspruch nehmen können. Bei psychisch Erkrankten geht es oft darum, (immer wieder) eine Phase des Sterbenwollens zu überbrücken.

 

Wer über Sterbehilfe entscheidet, muss sich im Klaren sein, dass Gespräche über Todeswünsche unterschiedlich verlaufen, je nachdem ob das „Angebot“ von Suizidhilfe im Raum steht oder nicht. Wir brauchen Einrichtungen, die Suizidhilfe für sich ausschließen.

Auf der Palliativstation des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara in Halle (Saale) – einer Stadt mit unter 5 Prozent Katholiken – habe ich mehrfach erlebt, dass Patienten mir sagten „Ich möchte einfach eine Spritze und tot sein!“ und dann hinzufügten: „Aber Sie sind ja ein katholisches Krankenhaus, Sie machen das bestimmt nicht.“ Trotzdem haben sich diese Patienten auf unsere Station verlegen lassen, trotzdem haben sie ihren Sterbewunsch ausgesprochen. Warum? Weil Sterbewünsche sehr oft mehr Frage sind als Entschluss, mehr Bitte, mit dem ganzen Leid wahrgenommen zu werden als zu sterben.

 

… des Gewissens

Die Fragen guten Sterbens und existenziellen Leids sind komplex. Die Möglichkeit zum assistierten Suizid erhöht nach aller Erfahrung in anderen Ländern die Zahl der Selbsttötungen massiv.

Daher ist ein Sterbehilfe-Gesetz notwendig – und zwar in Kombination mit dem Hospiz- und Palliativgesetz und einem bislang fehlenden Suizidpräventionsgesetz.

Der Staat muss mit allen Mitteln Leben und Lebensqualität fördern!

 

Ein Beitrag von Cäcilia Branz, Leiterin Fachbereich Christliches Profil im EVV

 

weiterführende Links:

Share on FacebookTweet about this on TwitterEmail this to someone