Schwerpunkt Allgemein, Christliches Profil, Menschlichkeit verbindet, Ordensschwestern, Zusammenwachsen
Ist die Kirche am toten Punkt?
Was ist los in der katholischen Kirche? Kardinal Reinhard Marx in München bietet dem Papst seinen Rücktritt an – symbolisch für das systemische Versagen der Kirche im Missbrauchsskandal.
Er diagnostiziert, die katholische Kirche sei „an einem toten Punkt“
Vielleicht ist ein etwas nüchterner Blick hilfreich: Zunächst einmal findet die Aufregung in der deutschen Kirche statt.
Ich bin versucht zu sagen „leider“, denn Missbrauch und absolutistische Machtstrukturen sind durchaus ein weltkirchliches Phänomen.
Zum anderen ist die Aussage vom toten Punkt, an dem sich die Kirche angeblich befindet, eine sehr spezifische Perspektive – die der Amtskirche.
Die gläubigen Menschen, die beten, die ihr Leben an Jesus orientieren, die Menschen, die einen größeren Sinn suchen – sie sind quicklebendig.
Und die kirchlichen Institutionen, die sich aus christlicher Motivation für Menschen und Werte engagieren – Krankenhäuser, Pflegeheime, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Obdachlosen- und Flüchtlingshilfe, internationale Hilfswerke etc. – sind quicklebendig.
Ordens- und geistliche Gemeinschaften wirken als außerordentliche Lebenszentren des Glaubens.
EVV-Einrichtungen leben „Kirche“
Die Einrichtungen des EVV sind quicklebendige Kirche und ihre Medizinethik ist ein Ernstfall des Christentums.
Ihre Kultur mit Seelsorge, Gottesdiensten, Festen, kirchlichen Feiertagen und christlicher Kunst sind lebendige – und breit akzeptierte und wertgeschätzte Kirche. Ihre Unternehmenskultur mit den Polen Subsidiarität und Solidarität – für Krankenhäuser eine immense Herausforderung – können zum vorbildhaften Modell werden.
Auch caritative Einrichtungen sind anfällig
Wohlgemerkt, dass caritative Einrichtungen im positiven Sinne Kirche sind, ist kein Automatismus.
Auch sie sind systemisch anfällig für Machtmissbrauch oder wirtschaftliches Fehlverhalten.
Auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinterfragen immer wieder, wie christlich die Kultur ihres Krankenhauses ist; was auf dem Papier steht und was Wirklichkeit ist.
Auch bei uns geht der eine oder andere Patient enttäuscht nach Hause, weil er sich mit seinen Bedürfnissen nicht deutlich genug wahrgenommen gefühlt hat.
Auch unsere Häuser stehen vor der Herausforderung des wirtschaftlichen Handelns.
Auch wir müssen uns kritisch fragen, welche Machtstrukturen christliche Würde erschweren.
KHD-Tagung 2021 mit Schwerpunkt „christliches Profil“
Nicht umsonst liegt der Schwerpunkt der EVV-Direktorientagung Ende Juni 2021 auf dem „christlichen Profil“.
Christlich zu sein ist ein Suchprozess, erfordert ehrliches gemeinsames Ringen und die Verständigung auf Grundkonstanten.
Christlich zu sein geht nicht losgelöst von Gesellschaft und Zeitgeschehen, sondern braucht permanente Übersetzung in Tat und auch in faire und lebensförderliche Strukturen.
Christlich zu sein, heißt Menschen gewinnen für Werte, für ein aktives Zusammenleben, für gegenseitigen Respekt.
Einen wichtigen Beitrag dazu leisten die Fort- und Weiterbildungsangebote unseres Elisabeth Vinzenz Instituts.
Sie machen, etwa in der Führungskräfte-Weiterbildung „Kompetenz und Geist“, die christliche Kultur ebenso konkret und anschaulich wie Fortbildungsangebote, Besinnungstage oder fest installierte Wertebeiräte in unseren Einrichtungen.
Fleisch auf dem Grill?
Papst Franziskus fordert in seiner Antwort an Kardinal Marx, „das Fleisch auf den Grill zu legen“, sich also nicht mit Ideen des Christentums zu begnügen, sondern sich der konkreten „persönlichen, sozialen und geschichtlichen Realität zu stellen“.
Und vielleicht kann die Amtskirche von caritativen Einrichtungen wie dem Elisabeth Vinzenz Verbund lernen: dienende Autorität und klare Beteiligungsstrukturen, vertrauensbasierte, experimentierende Glaubenskultur nah am Menschen, Weitsicht und Realitätssinn.
Kommentar von Cäcilia Branz, Leiterin Fachbereich Christliches Profil im EVV
Foto: Marco Warmuth
Hintergrund
Vatikanstadt – 10.06.2021
Papst Franziskus nimmt das Rücktrittsgesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx nicht an. Das schreibt er in einem Brief an den Erzbischof, in dem der Pontifex seine Gründe darlegt.
Foto: unsplash.com/Paul Hermann Jeiqz