Schwerpunkt Allgemein, Demenz, Menschlichkeit verbindet, Zusammenwachsen

St. Adolf-Stift auf dem Weg zum „demenzsensiblen Krankenhaus“

Wer kümmert sich um demenzspezifische Fragestellungen im Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift?

Yvonne Hillebrand ist seit Januar 2019 Demenzbeauftragte in der Pflege für alle Stationen am St. Adolf-Stift.

Yvonne Hillebrand: Ich bin Ansprechpartnerin für alle Berufsgruppen sowie Angehörige zu Fragestellungen rund um Demenz. Auch zur Unterstützung der Mitarbeiter kann ich in problematischen Situationen über eine digitale oder telefonische Konsil-Anfrage dazu gebeten werden. Zudem finden regelmäßig Demenz-Fallbesprechungen auf den Stationen statt.

St. Adolf wird „demenzsensibel“

Ich befinde mich in der Aufbauphase des Projektes „Demenzsensibles Krankenhaus Reinbek“ und verfolge dabei zwei große Ziele:

Einmal dafür zu sorgen, dass Patienten mit einer demenziellen Erkrankung so gut versorgt werden, dass ihre vorhanden funktionalen und kognitiven Fähigkeiten genutzt/erhalten und mögliche Risiken und Begleiterscheinungen minimiert werden.

Und zweitens möchte ich, dass die Mitarbeiter durch gezielte Schulungen noch sensibler im Umgang mit Menschen mit Demenz werden und eine fachliche Steigerung ihrer Kompetenz erfahren.

Yvonne Hillebrandt mit „Lisbeth“, einer gehäkelten Schnecke. Diese hilft Patienten mit Demenz bei Unruhe und unkontrolliertem Handeln.

Konzepte in Arbeit

Aktuell erarbeite ich gerade viele Konzepte, wie zum Beispiel zur Früherkennung von Behandlungsbedarf, zur Einbindung von Angehörigen, über die Schmerzerkennung bei Menschen mit Demenz. Außerdem zu Kommunikation und Umgang bei Menschen mit Demenz, zu Delir, also dem akuter Verwirrtheitszustand und zu abrechnungsrelevanten/aussagekräftigen Dokumentation. Und, last but not least, zu kreativen Betreuungsangeboten.

 

Lisbeth 1.0 für demente Patienten im St. Adolf-Stift.

Ich brauch mal ‘ne Lisbeth!

Die gehäkelte Schnecke hilft Patienten mit Demenz bei Unruhe und unkontrolliertem Nesteln.

Die bunte Schnecke „Lisbeth“ ist eigentlich ein Zufallsprodukt. Schon länger war Yvonne Hillebrand auf der Suche nach einem Gegenstand, um Menschen mit Demenz im Krankenhaus die Unruhe zu nehmen und etwas in die Hand zu geben. Denn durch das so genannte „Nesteln“, also nervöse und scheinbar ungezielte Bewegungen der Hände, die etwas zum Tasten suchen, können im Krankenhaus gefährliche Situationen entstehen.

Yvonne Hillebrand erklärt:

„Manchmal ziehen Menschen mit Demenz aufgrund von Stress durch die unbekannte Umgebung leider an ihren Verbänden oder gar Zu- und Ableitungen. Das kann unter Umständen zu Unterbrechungen der Therapie, Störungen der Wundheilung und Keimverschleppung führen. Und am Ende auch zu erheblichen Mehraufwand für die Pflege.“

So schwebte der Demenzbeauftragten etwas aus Holz oder anderen Materialien vor, das beim Fühlen Reize setzt. Aber so richtig rund war die Idee noch nicht.

Und dann kam der Tag im März, an dem Yvonne Hillebrand von einer Mitarbeiterin der Station 11 angerufen wurde mit der Bitte, sie möge eine extrem unruhige Patientin aufsuchen.

Pflegetrainerin und Lisbeth-Schöpferin Annet Reitenbach.

„Annet Reitenbach, die Pflegetrainerin der Familialen Pflege hatte gerade im Dezember das Häkeln angefangen und als Deko für unser gemeinsames Büro ein paar gehäkelte Tiere mitgebracht. Sie reichte mir eine buntgeringelte Schnecke mit dem Worten ‚Versuch doch, sie damit abzulenken‘.“

Und tatsächlich betrat die Demenzbeauftragte das Patientenzimmer mit den Worten: „Darf ich Ihnen diese Schnecke schenken?“ Sofort war die Anspannung aus dem Gesicht der alten Dame verschwunden.

Hillebrand erinnert sich: „Sie hat sich gefreut, das kleine Wollknäul in ihre Hand genommen und fing an, über sich und ihre Hobbys zu erzählen. Damit war eine ganz andere Stimmung im Raum.“

Bei der Entlassung hatte die Patientin die Schnecke immer noch bei sich, hatte sie in Tücher gewickelt, um sie zu schützen, und sagte: „Die habe ich selbst gemacht.“ Und als Annet Reitenbach einige Wochen später die Familie dieser Patienten in der Häuslichkeit aufsuchte, staunte sie nicht schlecht.

Reitenbach: „Die Patientin hatte die Schnecke immer noch bei sich. Und die Angehörigen haben mir ganz glücklich erzählt, dass sie die Schnecke als wichtigen Bestandteil in der täglichen Versorgung ihrer erkrankten Mutter nutzen können. Die Angehörigen freuten sich sehr über die Aktion des St. Adolf-Stift.“

 

Lisbeth für unruhige Patienten

Damit war die Idee geboren, dass besonders unruhige Patienten ihre persönliche gehäkelte Schnecke bekommen sollen, die gut in die Hand passt. Sie soll keine Angst machen und freundlich gestaltet sein.

Durch die verschiedene Farben, Materialien und Formen sollen Reize gesetzt werden, gleichzeitig musste das Gehäkelte aber auch sicher sein (also keine verschluckbaren Kleinteile enthalten oder Wundlegen verursachen).

Reitenbach: „So war dann nach etwas Herumprobieren Lisbeth 1.0, eine kleine grüne Schnecke mit Fühlern, einem lächelndem Mund und buntgeringeltem Schneckenhaus entstanden. Am Anfang brauchte ich pro Schnecke noch so 3 Stunden. Jetzt häkele ich eine in 1,5!“

„Ich brauch mal ne Lisbeth“

Mittlerweile rufen Kollegen Yvonne Hillebrand auf dem Stationsflur immer öfter den Satz zu: „Ich brauch mal ‘ne Lisbeth!“

Denn die lustige Schnecke führt nicht nur zu Beruhigung der Patienten und einem Gesprächseinstieg und konstruktiver Beschäftigung.

Sie kann auch ein sehr unbürokratisches, aber dezentes Erkennungsmerkmal für neue Pflegekräfte und Ärzte sein: „Hier ist eine Schnecke, also ist der Patient möglicherweise von einer Demenz betroffen und ich sollte das bei der Visite berücksichtigen und in die Therapie mit einbinden.“

Häkelschnecken-Produktion für St. Adolf

Das setzt natürlich voraus, dass es ausreichend Häkel-Schnecken im Haus gibt, so dass jeder sein persönliches Exemplar überreicht bekommen kann.

„Darum mussten wir die Produktion unbedingt ausweiten, zumal ich selbst – noch! – nicht häkeln kann“, sagt Hillebrand.

Deshalb wurde ein Aufruf in den Aushängen der Mitarbeiter-Zeitung gestartet und tatsächlich wurde nicht nur Wolle, sondern auch fertige Lisbeths gespendet.

„Ein großer Dank geht an unsere Unterstützer: Mitarbeiter, Angehörige von Mitarbeitern, aktive grünen Damen und die ehemalige Grüne Dame Hannelore Wik. Sie hat uns ihre erste Schneckenbande in einem niedlichen Körbchen mit Making-of-Foto übergeben.“

Die ehemalige Grüne Dame Hannelore Wik bei der ,,Schneckenproduktion”.

 

Insgesamt haben wir schon 100 Schnecken gehäkelt bzw. fertig geschenkt bekommen.

Warum kommt die Schnecke Lisbeth nicht nur bei den Menschen mit Demenz, sondern auch bei den Angehörigen so gut an? Annet Reitenbach versucht eine Erklärung:

„Jeder, der diese Schnecke in die Hand nimmt, lächelt. Und gerade auch die Angehörigen freuen sich, dass diese kleinen Schnecken, ehrenamtlich, individuell und mit Liebe für ihre erkrankten Angehörigen gefertigt wurden.“

 

Foto: Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift / Anya Zuchold
Gastbeitrag von Andrea Schulz-Colberg, Presse- und Öffentlichkeitsreferentin Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift

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