Schwerpunkt Allgemein, Medizin im EVV, Menschlichkeit verbindet

370 Gramm Lebenswille

Die Klinik für Geburtshilfe und die Klinik für Neonatologie und Kinderintensivmedizin unseres Hauses sind regelmäßig Schauplätze medizinischer Leistungen und emotionaler Momente, wie sie nur wenige Menschen – auch im Krankenhaus – in ihrem beruflichen Umfeld erleben. Für Dr. Ina und Dr. Nils Hoffmann hat sich der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind zu einem Erleben entwickelt, das beiden wohl für den Rest ihres Lebens in allen Details in Erinnerung bleiben wird.

Denn die menschliche und medizinische Herausforderung, vor der die Juristin und der Ingenieur aus Halle bei der Geburt ihres ersten Kindes standen, hat auch erfahrene Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara tief bewegt.

Ambulante Beratung und vorgeburtliche Diagnostik

Bereits seit einigen Jahren hatte das junge Paar geplant, sich mit der Gründung einer eigenen Familie einen echten Herzenswunsch zu erfüllen. Als es Mitte des Jahres 2020 schließlich soweit war und Ina Hoffmann von ihrer Schwangerschaft erfuhr, entschied sie sich auf eine Empfehlung aus dem Freundeskreis hin bewusst für eine ambulante Beratung und vorgeburtliche Diagnostik durch Chefarzt Dr. Sven Seeger in der Klinik für Geburtshilfe unseres Hauses.

Der Untersuchungstermin wurde von der werdenden Familie mit einer gewissen Anspannung erwartet – nach drei Fehlgeburten und einer Kinderwunschbehandlung in den Jahren zuvor.

Ob es ein Mädchen oder ein Junge werden würde – damit wollte sich zumindest Vater Nils bei der Geburt überraschen lassen. Bereits bei dieser ersten Untersuchung bei 20 Schwangerschaftswochen fielen dem erfahrenen Geburtsmediziner einige Parameter auf, die nicht zum normalen Verlauf einer Schwangerschaft passen wollten.

„Das Baby ist zu klein, die Versorgung seitens des Mutterkuchens ist nicht gut. Wir sollten weitere Untersuchungen durchführen“, so erinnert sich die Mutter an die Aussage von Dr. Seeger.

Es wird ein „Frühchen“

Die Möglichkeit der zu frühen Geburt eines Kindes gehört in diesem Stadium zur selbstverständlichen Offenheit, die eine gute geburtsmedizinische Beratung und Aufklärung ausmacht.

Bei Ina und Nils Hoffmann stellte sich plötzlich ein Gefühl der Unsicherheit ein und sie fragten sich: Was ist „zu früh“? Was ist „zu klein“? Die werdenden Eltern hatten mit einem Mal viele Fragen – und sie bekamen bei den laufenden Untersuchungen, die zunächst einmal, dann zweimal pro Woche im Dezember 2020 stattfanden, die passenden Antworten.

Als feststand, dass sich alle Beteiligten auf ein „Frühchen“ einzustellen hatten, traten weitere Spezialisten als Ansprechpartner an die Seite der Familie. Oberärztin Sandy Reinhardt aus der Neonatologie und Kinderintensivmedizin und Anna Rosch, Diplom-Psychologin aus der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, unterstützten Dr. Sven Seeger bei der intensiven Beratung des Paares in einer Situation, auf die sich wohl niemand in ihrer ganzen Ausprägung und emotionalen Belastung vorbereiten kann.

Zeit der Unsicherheit

„Kurz vor Weihnachten teilte mir Herr Seeger mit der ihm eigenen, zugewandten Lockerheit mit, dass ich dann wohl mal zur besseren Überwachung des Kindes in der Klinik einziehen könnte“, erzählt Ina Hoffmann.

Beeindruckt habe sie bereits zu dieser Zeit, dass das gesamte Team aus den verschiedenen Fachbereichen trotz des Ernstes der Lage zu jedem Zeitpunkt eine zuversichtliche und mitfühlende Stimmung zu vermitteln vermochte. Die Weihnachtszeit des vergangenen Jahres, so beide Eltern im Rückblick, sei eine Zeit großer Unsicherheit gewesen, in der jeder Zuspruch aus dem Expertenteam dankbar angenommen wurde.

Jede Woche zählt

„Als meine Frau dann auf der Station lag, kamen für mich viele Gefühle zusammen. Auf der einen Seite die Erleichterung über die professionelle und interdisziplinäre Betreuung, auf der anderen Seite eine große Hilflosigkeit“, beschreibt Nils Hoffmann die Januartage dieses Jahres.

Zwischen dem 11. und dem 27. Januar habe er lediglich durch eine Scheibe winken und seiner Frau in Telefonaten nahe sein können.

Die Probleme der Welt mit der anhaltenden Corona- Pandemie, die zu dieser Zeit besonders hohen Covid-Fallzahlen und die daraus folgende Anspannung, die in allen Kliniken des Krankenhauses deutlich spürbar war, traten für die Eltern in den Hintergrund.

„Wir haben jede Woche gezählt“, erinnert sich Ina Hoffmann. „Alles unter 24 und 25 ist schlecht, erst ab der 30. bis 32. Schwangerschaftswoche werden die Chancen besser.“ Ab der 28. Schwangerschaftswoche „schalte die Ampel von rot auf gelb“ – so hatte es der Chefarzt zuvor bildlich erklärt.

Balanceakt zwischen Reifung und Frühgeburt

Mittels immer wiederkehrender Ultraschalluntersuchungen mit Blutflussmessungen und mehrmals täglicher CTG-Kontrollen (Aufzeichnungen der kindlichen Herzfrequenz) wurde der kindliche Zustand überwacht.

Dr. Bettina Heuchert, die in der Klinik diese Untersuchungen in der Tagesroutine meist durchführt, gelang es mit viel Erfahrung trotz der Winzigkeit des Kindes, die Herzfrequenz sicher „einzufangen“. Jede Ultraschall- und jede CTG-Untersuchung wurde mit einer gewissen inneren Anspannung und Hoffnung erwartet.

Jeder gute Befund war Erleichterung und Rückversicherung, dass das Kind im Bauch verbleiben kann. Der Wachstumsrückstand des Kindes wurde im Laufe der weiteren Tage und Wochen immer größer. Auch die Kreislaufverhältnisse des viel zu kleinen Kindes wurden immer instabiler.

Für das Ärzteteam und die Eltern stand nahezu täglich die Entscheidung an, ob es weiter möglich ist, das Kind im Bauch der Mutter reifen zu lassen oder zu entbinden – ein täglicher Balanceakt zwischen Reifung und Frühgeburt.

„Die werdenden Eltern haben diese Spannung mit Bravour, einer schier unendlichen Zuversicht und Vertrauen gemeistert“, schildert Dr. Seeger.

Die Belastungsprobe

Ende Januar 2021 – nach etwa drei Wochen des stationären Aufenthalts – wurden Ina und Nils Hoffmann auf eine Belastungsprobe gestellt, die ihnen bis heute schmerzhaft bildlich vor Augen steht.

„Ich hatte so ein Gefühl, dass sich etwas verändert“, erzählt die heutige Mutter.

In den letzten CTGs gab es wiederholt Herzfrequenzabfälle beim Kind. Dr. Bettina Heuchert blickte bei der Anlage eines weiteren CTG mit einem Mal sehr ernst.

„Ich finde keine Herztöne“, stellte sie sichtlich beunruhigt fest – während aus den verschiedenen Bereichen des Hauses bereits Dr. Sven Seeger, Sandy Reinhardt und Anna Rosch in den Untersuchungsbereich geeilt waren. „In diesem Moment war ich in einem Schockzustand und habe kaum einen klaren Gedanken fassen können“, erinnert sich Ina Hoffmann. Er habe ein gutes Bauchgefühl, löste Dr. Seeger diese schweren Minuten auf. „Als das Gerät dann wieder Herztöne anzeigte, war ich ebenso müde wie erleichtert“, blickt Ina Hoffmann auf den bangen Moment zurück.

Erlösung: Vida Alexa ist wohlauf!

Der 27. Januar 2021 hat sich in das Gedächtnis der Eltern und des medizinischen Teams eingebrannt. Um 14.45 Uhr entschied die Familie gemeinsam mit dem anwesenden Expertenteam, bei nunmehr 26 erreichten Schwangerschaftswochen, die Entbindung vorzunehmen. Um 15.52 Uhr kam die kleine Tochter dann per Kaiserschnitt auf die Welt. Vater Nils war bei der Geburt im Kreißsaal dabei – gerade in Corona-Zeiten ein für die Familien besonderes Angebot.

„Es war ein geplanter, kein notfallmäßiger Kaiserschnitt. Als ich drei laute Babyschreie hörte, erfasste mich ein überwältigendes Gefühl der Freude, an das ich mich erinnere, als wäre das alles erst gestern passiert“, berichtet er.

Noch auf dem OP-Tisch bekam die kleine Tochter ihren Namen: Vida Alexa.

„Vida ist spanisch für Leben. Dieser Name kam meinem Mann während der OP in den Sinn, als sich meine Tochter zu früh, aber doch so gut hörbar ins Leben meldete“, erzählt Ina Hoffmann mit einem Lächeln, aber auch mit leicht feuchten Augen. Vida – das Leben. Alexa – das war der Name des Schiffes, auf dem das Paar aus Halle einst standesamtlich geheiratet hatte.

Ein besonderer Fall

Wunschkind Vida Alexa wurde mit zarten 370 Gramm Gewicht und einer Länge von 26 cm geboren. Damit war sie aus medizinischer Sicht deutlich zu leicht und zu klein für ihre Schwangerschaftswoche und wurde unmittelbar nach der Geburt auf die Kinderintensivstation gebracht.

Die Klinik für Neonatologie und Kinderintensivmedizin unter der Leitung von Chefarzt PD Dr. Roland Haase kennt viele medizinisch herausfordernde Fälle. Ein Frühgeborenes mit diesem Geburtsgewicht ist aber auch für die ärztlichen und pflegerischen Spezialisten ein besonderer Fall.

„Kümmert euch gut um meine Tochter“ – das waren die Worte, die Nils Hoffmann dem Team an diesem Tag noch mit auf den Weg gab.

Die Tradition der „Himmelswünsche“ am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, nach der täglich zur Mittagszeit für jedes Neugeborene ein Ballon mit einer Karte und darauf eingetragenen guten Wünschen in den Himmel über Halle steigt, nahmen beide Eltern sehr gerne wahr.

 

Die kleine Kämpferin

Die ersten Wochen und Monate nach der Geburt waren geprägt von einer festen Besuchsroutine, die Ina und Nils Hoffmann untereinander vereinbart hatten. An jedem einzelnen Wochentag erhielt Vida Alexa, die kleine Kämpferin im blauen Licht des Inkubators, Besuch von ihrer Mutter.

Am Wochenende freute sich ihr Mann auf den Besuch bei seiner Tochter. Sie wurden Zeugen, wie ihr Kind durch die intensive Betreuung und die spezielle Ernährung immer kräftiger wurde.

„Am 6. und am 8. Februar durften die Eltern das erste Mal mit der kleinen Vida kuscheln. Am 13. Februar wog Vida 500 Gramm, am 24. März 1025 Gramm und am 27. April 2010 Gramm. Ab dem 8. März brauchte sie keine Atemhilfe mehr und erfreulicherweise musste Vida nie intubiert werden“, entnimmt Oberärztin Sandy Reinhardt der präzise geführten Krankenakte.

Das erste Mal aus der Flasche getrunken habe Vida am 7. März – stolze drei Milliliter.

Routine stellt sich ein

Im Gespräch mit den Eltern lassen sich weitere Schlaglichter der ersten Wochen in der Klinik festhalten. Ina Hoffmann skizziert den regelmäßigen Tagesablauf: „Wir sind mit einem kurzen Frühstück in den Tag gestartet und haben dann in der Klinik angerufen. Nach dem Corona-Test und dem Besuch in der Milchküche ging es dann auf Station. Alle zwei Tage wurde Vida gewogen.“

Gute Erinnerungen haben beide Eltern an das sogenannte Kangarooing, eine Methode, bei der das Frühgeborene in den ersten Wochen nach der Geburt jeweils für mindestens zwei Stunden auf dem Brustkorb des Elternteils liegt, um die Körperwärme und die Nähe spüren zu können.

Entwicklung in Meilensteinen

Die Entwicklung der kleinen Vida Alexa, so machen die Eltern im Gespräch deutlich, sei am besten in „Meilensteinen“ zu schildern.

Ein Meilenstein sei zum Beispiel das Erreichen eines Körpergewichts von 500 Gramm gewesen. Jede Gewichtszunahme sei vom Team der Klinik mit einem kleinen Aufhänger an einem Mobile über dem Bettchen „gefeiert“ worden. Anke Müller, pflegerische Teamleitung in der Neonatologie, habe sie am 24. März mit einer E-Mail und einem Handyfoto von Vida überrascht:

„Hallo Mama, hallo Papa, heute wiege ich 1025 Gramm!“.

Anschließend traf man sich zu frisch gebackenen Muffins auf der Station. Im Mittelpunkt jedes Gesprächs mit Ina und Nils Hoffmann steht die große Dankbarkeit und Verbundenheit, die beide dem gesamten Team des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara und der beteiligten Fachbereiche entgegenbringen.

Für den Zuhörer erschließt sich erst nach und nach, wie auch in einem vergleichsweise großen Krankenhausbetrieb persönliche Nähe zu den Familien, gerade von frühgeborenen Kindern, aufgebaut und vom Team mit viel Herzlichkeit und Zuwendung gepflegt wird.

Endlich wieder Normalität

Vor der Entlassung nach Hause am 1. Mai 2021 musste die Familie noch einmal einen Schreckmoment verkraften: Leistenbruch bei der kleinen Vida.

Dank der Erfahrung des von Chefarzt Dr. Gunter Klohs geführten kinderchirurgischen Teams an unserem Haus konnte auch dieses Problem schnell und ohne weitere Komplikationen behoben werden. Die ersten Wochen zu Hause, betonen Ina und Nils Hoffmann, seien vor allem ruhig und strukturiert verlaufen – auch dank der guten Vorbereitung. Vater Nils, als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens stark eingebunden, hatte sich Urlaub genommen, um diese erste Zeit bewusst genießen zu können. Besuch habe man in der ersten Zeit nur wenig empfangen, um der kleinen Vida ein möglichst ruhiges Ankommen zu ermöglichen.

Ina Hoffmann ist nun für zwei Jahre in Elternzeit. An den meisten Tagen in der Woche geht es mit dem Kinderwagen an die frische Luft. Im Vordergrund steht seitdem vor allem die gemeinsame Zeit.

„Normalität wie Kinderwagen fahren oder Babywäsche waschen ist für uns etwas Besonderes“, geben sie dem Gesprächspartner mit einem Schmunzeln mit.

Den herzlichen Kontakt zu unserem Krankenhaus möchte Familie Hoffmann halten – auch unabhängig von fälligen Untersuchungsterminen. Und so besteht die Hoffnung, die kleine Vida Alexa und ihre Eltern – vielleicht zum nächsten Geburtstag – für einen Kaffee und ein gemeinsames Foto mit dem engagierten Team der Kliniken, bei uns begrüßen zu dürfen.

Geschafft! Und endlich als Familie nach Hause: Familie Hoffmann am Tag der Entlassung.

Nils und Ina Hoffmann mit ihrer kleinen Vida Alexa.

 

Beitrag aus dem Krankenhausmagazin des Krankenhauses St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale), „100% am Puls“, Ausgabe Juli/August 2021.

Autor: Jan-Stephan Schweda, Leiter Unternehmenskommunikation und Marketing Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale)

Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ina und Dr. Nils Hoffmann.

Fotos: privat

 

 

 

 

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