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Eine Reform, mitten in der Pandemie

2020 ist der erste Jahrgang in die Generalistische Pflegeausbildung gestartet. Damit hat sich in der theoretischen ebenso wie in der praktischen Ausbildung auf Station viel verändert.

Pflegeverantwortliche und Auszubildende aus dem St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof (SJK) und dem Franziskus-Krankenhaus Berlin (FKH) blicken gemeinsam mit Verantwortlichen der Schule für Gesundheitsberufe Berlin zurück auf die beiden vergangenen Jahre:

Was waren für Sie die wesentlichen Neuerungen?

Rainer Karius, Schulleiter: Grundlegend geändert hat sich, dass die Ausbildung jetzt u.a. mehr Wert auf soziale und personale Kompetenzen legt, statt wie bisher die fachlich-methodischen Kenntnisse zu fokussieren.

Ein Beispiel: Zuvor standen die biowissenschaftlichen Grundlagen oder das korrekte Legen eines Katheters im Mittelpunkt. Jetzt geht es auch darum, dass junge Pflegende die Patienten- und Angehörigen-Beratung übernehmen und mit dem Sozialdienst zusammenarbeiten, damit Erkrankte nach der Entlassung aus der Klinik die notwendige Unterstützung bekommen.

 

Christiane Lang, Diplom-Pflegepädagogin: Die generalistische Ausbildung geht eher in die Breite, weniger in die Tiefe. Sie legt das Fundament für das Berufsleben. Die fachliche Vertiefung erfolgt später gezielt, ausgehend von den Interessen und Begabungen des Einzelnen, auf der Basis konkreter Berufserfahrung.

Die Auszubildenden lernen sämtliche Pflegebereiche kennen: die stationäre ebenso wie die ambulante Pflege, die Akut-Pflege und die Langzeitpflege – und zwar bei Patientinnen und Patienten aller Altersstufen.

 

Markus Kuchnicak, künftiger Schulleiter: Die Ausbildung verlangt den jungen Leuten eine Menge ab: Drei Jahre durchhalten, immer die Disziplin für besondere Dienstzeiten aufbringen, auch am Wochenende, wenn die Freunde feiern gehen – dazu braucht es die passende Einstellung.

Pflege ist ein sehr anspruchsvoller Beruf, inhaltlich-fachlich, aber auch mit Blick auf diese Rahmenbedingungen, die Selbstverantwortung, die Eigeninitiative und die Tatsache, dass man nie wirklich nachlassen darf mit seinem Engagement.

 

Und was hat sich seit Beginn der Generalistik auf Station verändert?

Uwe Salomon, Zentraler Praxisanleiter: Das praktische Lernen auf Station hat einen höheren Stellenwert als zuvor, das wertet die Praxisanleitung insgesamt auf. Aber auch alle Pflegefachkräfte ohne Qualifizierung zur Praxisanleitung sind weiterhin gefragt, eine ausbildungsfreundliche Atmosphäre zu schaffen.

Außerdem kommt es auf die Eigenverantwortung der jungen Leute an, denn sie gestalten ihre Ausbildung aktiv mit und fragen z.B. bei den Praxisanleitenden nach, wenn Informationen oder Fertigkeiten vertieft werden müssen

Können Sie noch mal kurz das Konzept der Praxisanleitung erklären, bitte?

Salomon: Auf allen Stationen arbeiten Praxisanleitende, die die Auszubildenden vor Ort beim Lernen begleiten.

Darüber hinaus gibt es vier zentrale Praxisanleitende, die von der Patientenversorgung freigestellt sind und nach den individuellen Lernbedürfnissen der Auszubildenden Anleitungssituationen organisieren und durchführen.

Außerdem entwickeln sie die praktische Ausbildung gemeinsam mit den Praxisanleitenden von FKH und SJK weiter.

 

 

Tino Hortig, Pflegedirektor: Wir bilden seit Jahren sehr praxisnah aus; nur wenige Häuser haben vier zentrale Praxisanleitende und zusätzlich Praxisanleitende auf den Stationen.

Im Rahmen der Generalistik müssen wir jetzt allerdings nachweisen, dass die Auszubildenden pro Praxiseinsatz zehn Prozent der Zeit gezielt angeleitet werden. Das erfordert viel Planung und Koordination.

Wie meinen Sie das?

Salomon: Bisher erfolgte die praktische Anleitung oft spontan. Anhand der zu versorgenden Patientengruppe und den damit verbundenen Tätigkeiten überlegte sich der oder die Praxisanleitende: Welche Kompetenzen kann ich heute vermitteln?

Das situative Lernen ist auch weiterhin wichtig, allerdings konzipieren die Praxisanleitenden eines Fachbereichs jetzt vorab ein praktisches Curriculum mit allen Lerninhalten und Anleitungssequenzen, um die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Prozent gezielte Praxisanleitung sicherzustellen.

 

Für die Schule war die Umstellung auf die Generalistik wahrscheinlich auch nicht einfach, oder?

Karius: Wir dachten, wir sind gut vorbereitet, denn wir unterstützen den Grundgedanken der Generalistik seit Jahren aktiv in der Ausbildung, vor allem mit gemeinsamen Klassen für Gesundheits- und Kranken- sowie Kinderkrankenpflege.

 

Lang: Seit 2018 haben wir unser generalistisches Curriculum entwickelt und waren ein Jahr vor dem Start der Ausbildung damit fertig. Fünf Monate vorher wurde dann der generalistische Rahmenlehrplan veröffentlicht – mit ganz anderen theoretischen Schwerpunkten als wir erwartet hatten. So haben wir in kürzester Zeit ein neues Curriculum erarbeitet und mussten zahlreiche Kooperationspartner für die externe praktische Ausbildung gewinnen. Dann kam auch noch Corona.

 

Marcello Ibba, Auszubildender: Das war wirklich ein schwieriger Start: Am ersten Tag unserer Ausbildung durfte jeder für 20 Minuten in die Schule. Wir wurden einzeln begrüßt und eingewiesen und waren dann für zwei Monate im Homeoffice. Das war heftig: Man beschäftigt sich mit einem komplett neuen Thema und ist zu Hause mit dem Fachbuch „Pflege heute“ ganz allein. Und wenn man endlich mit einem Arbeitsauftrag fertig ist, kommt schon der Nächste, durch den man sich wieder alleine kämpfen muss.

Cosima Brissa, Auszubildende: Wir kannten uns ja alle gar nicht und mussten uns erstmal über Social Media vernetzen.

Lang: Den Präsenzunterricht haben wir in dieser Zeit in Kleingruppen abgehalten. Das hieß im Extremfall, dass wir an einem Tag denselben Lernstoff achtmal erzählen mussten.

Karius: Ich bin wirklich stolz, dass wir trotz der chaotischen Verhältnisse, die das Gesetzgeberische und Corona verursacht haben, eine qualitativ hochwertige Ausbildung hinbekommen haben. Das ging nur, weil alle mitgezogen haben.

Bei allen Schwierigkeiten: Welche Vorteile sehen Sie in der Generalistik?

 

Hortig: Für Deutschland ist sie ein Paradigmenwechsel; ich sehe darin eine absolute Chance, das Selbstbewusstsein der Pflegenden zu stärken und ihren Horizont zu erweitern: Während der Ausbildung lernen sie die pflegefachliche Versorgung in allen Bereichen kennen und setzen selbst Schwerpunkte im Rahmen der Vertiefung. Damit diese Vorteile wirklich zum Tragen kommen, müssen alle Akteure verstehen, welche Möglichkeiten der generalistische Ansatz für die Pflege bietet.

 

Ibba: Für mich ist der große Vorteil der Generalistik, dass ich nach der Ausbildung alle Altersgruppen pflegen kann. Ich habe mich für diesen Weg entschieden, nachdem ich meinen schwer kranken Vater mitbegleitet habe. Aber ich weiß heute noch nicht, in welchem Bereich der Pflege ich später arbeiten will, deshalb finde ich es gut, das gesamte Berufsfeld kennenzulernen.

Brissa: Für mich stand von Anfang an fest, dass ich in die Pädiatrie möchte. Gleichzeitig finde ich es in Ordnung, in allen Bereichen Erfahrungen zu sammeln. Ich hätte mich zum Beispiel gar nicht in der Geriatrie gesehen, aber es hilft, den Menschen ganzheitlich zu verstehen. Außerdem habe ich ja die Freiheit, ein Fachgebiet zu vertiefen und kann trotzdem später in jedem Versorgungsbereich arbeiten.

Kuchnicak: Für die Patientinnen und Patienten sehe ich ebenfalls einen großen Vorteil durch die Breite der neuen Ausbildung und die Betonung der sozialpflegerischen Aspekte. Auch, dass bestimmte Vorbehaltstätigkeiten definiert wurden, die ausschließlich in den Händen der Pflegefachkräfte liegen, ist ein wichtiges Signal gegen das Vorurteil »Pflege kann jeder«. Hier zeigt sich: Die Professionalität der Pflege resultiert aus der Qualifikation.

 

 

Generalistische Pflegeausbildung

Seit Januar 2020 werden Pflegende in Deutschland generalistisch ausgebildet: Die Gesundheits- und Krankenpflege für Kinder, Erwachsene und Senioren, bisher getrennt, sind nun seit zwei Jahren in einer Ausbildung zusammengefasst.

Damit entscheiden sich Auszubildende nicht mehr zu Beginn für eine Fachrichtung, sondern werden in allen Bereichen ausgebildet. Am Ende der dreijährigen Lehrzeit steht der einheitliche Berufsabschluss als Pflegefachfrau / Pflegefachmann. Wer möchte, kann während der Ausbildung einen Vertiefungseinsatz in der Alten- oder Kinderkrankenpflege wählen und so einen weiteren Schwerpunkt setzen.

Mit dem zugrundeliegenden Pflegegesetz wurden auch erstmals Vorbehaltstätigkeiten festgelegt: Das sind Arbeitsaufgaben, die ausschließlich Pflegefachkräfte durchführen dürfen, z. B. die Pflegeanamnese, -diagnose und -planung. Ziel des Gesetzes ist es, den Pflegeberuf aufzuwerten, ihn attraktiver zu machen und der hochschulischen Ausbildung in anderen europäischen Ländern anzugleichen.

 

Ein Beitrag aus der Mitarbeiterzeitung WIR, Ausgabe 2/2022  St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof und Franziskus-Krankenhaus Berlin

Redaktion: Unternehmenskommunikation
Fotos: Manuel Tennert

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